Aplerbeck i. W., den 27. April 1895.
Mein lieber Herr D.!
ad Acta S.Provinzial=Irren=Anstalt.J.-Nr. ...
Falls Sie nicht auch von Ihrer Frau Gemahlinschon in's Irrenhaus
gesteckt sind, wird meinheutiges Schreiben Sie wohl auf dem Borstelin Pantoffeln oder gar in Ihrem nun un-bestrittenen
Revier auf dem Stehbrinkantreffen − unbestritten, denn ich
darfwohl annehmen, daß die Montags=Gesell-schaft
sich im Laufe des Winters mehrund mehr zerstreut hat. Seit meinernun schon seit dem 10. November v.J.
dau-ernden Kur im Irrenhause bin ich trotzmancher Übelstände doch ab und zu anSie und die Ihrigen erinnert
worden. Sohörte ich kürzlich durch's offene FensterRebhühner locken und dachte mit Wehmutdan
an die glücklichen April-Tage, in
denen ich mitdem Hunde meinen Bestand in Brüninghorstedtnachzählte. Meine Flinte wurde schon zum Schnepfen-strich nachgesehen und geputzt. Die ist aberjetzt nicht zum
Besten aufgehoben, denn meinBruder hält seine eigene nicht einmal
imStande. Daher knallt diese auch so furchtbar,und ich meine sie aus der Kanonade am 17. bis20. April 1893 noch herauszuhören, wodurch ichja an meinen Rewolwer erinnert wurde unddas Unglück darnach
hatte, an dem ich nochleide. Sonst geht es mir recht gut, und ichhabe jetzt wenigstens Bücher, um die furchtbareLangeweile in etwa zu bändigen. Wiegeht es Ihnen und Ihrem
Rheumatismus?Haben Sie schon Schlammbäder in der Gehlegenommen? Falls Sie die Absicht haben,dort ein
Kurhaus zur mit Restaurationerrichten zu lassen, so
nehmen Sie nichtdas
das vom Stehbrink, denn das ist innen
ganzverbohrt und falsch angelegt, wenn esauch
ein leidliches Äußere hat und imInnern gut mit "Kalj" verstrichen
ist.In Ihrer bisherigen Wohnung werden Siesich
auch ganz gut wieder verjüngen,wenn Ihr Übel nicht schon zu weit
vor-geschritten ist, schlimmstenfalls kann jaHerr S. Sie einreiben. Baden undTrinken kann Ihre Gefahr nur vergrößernnach
meiner Ansicht. Am besten aberwäre es, Sie begäben sich in die
Behand-lung der Münster'schen oder
hiesigen Ärzte,die Ihnen bald ein "blühendes" Äußeregeben würden, wahrscheinlich aber auchdas Rauchen
verbieten würden. − Manmacht hier oft auch ganz
interressanteBekanntschaften. Zunächst lernte ich inMünster
Münster einen Westpreußen kennen, der3 Jahre wegen Brandstiftung gesessen hatteund
wegen Einbruchs in eine Apotheke inUntersuchung gesessen hatte. Er
hieß glaub' ichW. und wurde wegen
geschickt angeleg-ter Geistesstörung freigesprochen, kürzlich ister "verduftet". − K. ist, auch arg herein-gefallen. Nehmem Sie sich nur der Fraunach Christenpflicht an!
Sie versteht ihrGeschäft und die Schänke trotz des Gesetzes.Dann war in Münster noch einer ausÜckendorf, der hatte wegen Kuppelei1 ½ Jahre und hätte noch mehr bekommen,wenn
alles an die Glocke gehängt wäre.Er hatte durch ein Frauenzimmer
sich Schuld-sachen und Kleidungsstücke erschwindelt,war überhaupt gerieben, hieß N.und sang ganz hübsch. Er hatte weicheGesichtszüge, die mich häufig an Frl. H.aus
IIProvinzial=Irren=Anstalt. Alperbeck i. W, den ... 189J-Nr. ...
aus Quetzen erinnerte. Hier verkehre ich fastnur mit einem Herrn Dr. F., der abersich nicht mit Dr. anreden läßt,
wahrscheinlich,weil er sich geniert. Mit ihm werde ich viel-leicht nach meiner Entlassung eine Gebirgs-tour
machen, denn in Raderhorst giebtes zu viel
Fliegen, und um die Mittags-zeit störte ich gar zu sehr auf dem
Steh-brink; es war aber wundervoll kühlda wegen
das Waldes im Sommer. Wiesteht es denn um meine Wundereiche,die schönste Westfalens? Düngen Siesie ja recht
gut und achten Sie aufdie jungen Pflanzen, daß nicht ange-trunkene Kurgäste, die mich oft beimZeichnen
störten, sie zertreten. Wenn übrigens Ihre Bemühungen,angegriffene
angegriffene Damen wieder zu beleben,Erfolg
haben sollte, so wünsche ich IhnenGlück zu Ihrer Kraft. Ich, der
ich der-gleichen wiederholt zu versuchen ge-zwungen
war, konnte mich in meinemZustande nicht dazu herbeilassen. IhrVorschlag, Bad Stehbrink zu über-nehmen, scheint mir doch nicht lohnenddurchführbar. Viel dankbarer wärees, eine
Irrenanstalt dort zu errichten,natürlich privatim. Wir beidenkönnten dann täglich einmal oderhöchstens zweimal
durch die Räumegehen und die Kranken und Gesundengrüßen. Um ihre Fehler und Krank-heiten brauchten wir uns nicht zukümmern. Wer aufmuckte, würdein
in eine Zelle gesteckt, bekäme Sulfonaloder im schlimmsten Falle Aether −das wäre
natürlich zu reichen IhreAufgabe − und schliefe ein ad infinitum.Gegen Ihren Rheumatismus würdeich Ihnen Saliperin verschreibenund den Gesunden gäben wir beideso viel Stopfmittel in's Essen, daßsie
verrückt würden, und wo dasnicht glückte, ein Pülverchen, daßsie sich Kratzen müßten; wir würdensie dann als
Schweine hinstellen undhätten die Oberhand. Wie gernwürden die Glücklichen dann unszu Liebe tanzen
und spielen. Entlassenwürde natürlich niemand vor seinemTode
Sollte mein Brief Ihnen etwas zusammenhangslos erscheinen, so
denkenSie, daß er mit Absicht so geschrieben sei; um Ihr
Nachdenken zu reizen.
Tode − das würde uns gerade die besteKundschaft verschaffen, soweit kenne ichdie Welt. Uberlegen
sSie sich den Vorschlag!Sie könnten dann Jahr aus
Jahr einin Pantoffeln gehen, und wenn ich −wie anzunehmen − noch ein paar Jahrehier bleibe, so werde
ich mit Sicher-heit die Leitung übernehmen können.Grüßen Sie bitte alle Bekannten,Frau K. nicht ausgenommen.Ich
empfehle Ihrihr, Drahtgeflecht um ihrenKohlgarten zu stellen, damit IhreHunde nicht in
ihren Garten laufen.Kommt der junge R.wohl noch ab und zu? Lassen Sie sichdie 10
Pfennig nicht gerauen und wendenSie noch soviel anIhren Sie grüssendenF. S.Taubstl. a. D.
Wollen Sie 'mal gelegentlich nach meiner Flinte sehen? - Wer ist
jetztAmtmann in Ladnde − es soll
seit Christiani schon der dritte sein.