Text von Friedrich S., 27.04.1895

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dor16s01

Informationen zum Text

Name Ort Datum
von Friedrich S. Aplerbeck 27.04.1895
an Bekannter: D. k. A. k. A.
Domain privater Brief
Regest fragt nach seinem Befinden, empfiehlt ihm eine Behandlung; bittet um Versorgung seiner Eiche

Informationen zum Patienten

ID dor16s
Name Friedrich S.
Geschlecht m
geboren 1851-10-07
gestorben 1917-12-22
Tätigkeit(en) Taubstummenlehrer a.D.
Ort(e) Geburtsort: Raderhorst; Wohnort: Petershagen📍
Religion protestantisch
Weitere Informationen
  • Familienstand: verheiratet
  • Eltern: Vater: Colon, Mutter: Leibzüchterin
  • Anstalt: 05.04.1895–22.12.1917
  • Verpflegungsklasse: 3
  • Brieftypen: pp: 7, po: 6
Diagnose k. A.

Bearbeiter des digitalen Dokuments (Transkription, Korrekturlesung)

  • Christina Eichhorn-Hartmeyer
  • Katharina Gunkler
  • Franziska Eber

Nutzungsbedingungen

Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)

Nachweis Originaldokument

Archiv LWL Archivamt für Westfalen, Archiv LWL (Münster)
Sammlung Best. 653: Dortmund-Aplerbeck
Nr. 16 (K. 220)

Informationen zur Schrift

Schreiber Medium Umfang
patient ink major
arzt pencil minor

Zitationshinweis

Schiegg, Markus (Hg.): CoPaDocs – Korpus historischer Patiententexte. <https://www.deutschestextarchiv.de/copadocs/>. Quelle aus: LWL-Archivamt für Westfalen, Münster (Best. 653: Dortmund-Aplerbeck), Patientenakte 16 (K. 220), Friedrich S., Text von Friedrich S., 27.04.1895.
Mein lieber Herr D.! ad Acta S.Provinzial=Irren=Anstalt.J.-Nr. ... Falls Sie nicht auch von Ihrer Frau Gemahlinschon in's Irrenhaus gesteckt sind, wird meinheutiges Schreiben Sie wohl auf dem Borstelin Pantoffeln oder gar in Ihrem nun un-bestrittenen Revier auf dem Stehbrinkantreffen − unbestritten, denn ich darfwohl annehmen, daß die Montags=Gesell-schaft sich im Laufe des Winters mehrund mehr zerstreut hat. Seit meinernun schon seit dem 10. November v.J. dau-ernden Kur im Irrenhause bin ich trotzmancher Übelstände doch ab und zu anSie und die Ihrigen erinnert worden. Sohörte ich kürzlich durch's offene FensterRebhühner locken und dachte mit Wehmutdan an die glücklichen April-Tage, in denen ich mitdem Hunde meinen Bestand in Brüninghorstedtnachzählte. Meine Flinte wurde schon zum Schnepfen-strich nachgesehen und geputzt. Die ist aberjetzt nicht zum Besten aufgehoben, denn meinBruder hält seine eigene nicht einmal imStande. Daher knallt diese auch so furchtbar,und ich meine sie aus der Kanonade am 17. bis20. April 1893 noch herauszuhören, wodurch ichja an meinen Rewolwer erinnert wurde unddas Unglück darnach hatte, an dem ich nochleide. Sonst geht es mir recht gut, und ichhabe jetzt wenigstens Bücher, um die furchtbareLangeweile in etwa zu bändigen. Wiegeht es Ihnen und Ihrem Rheumatismus?Haben Sie schon Schlammbäder in der Gehlegenommen? Falls Sie die Absicht haben,dort ein Kurhaus zur mit Restaurationerrichten zu lassen, so nehmen Sie nichtdas das vom Stehbrink, denn das ist innen ganzverbohrt und falsch angelegt, wenn esauch ein leidliches Äußere hat und imInnern gut mit "Kalj" verstrichen ist.In Ihrer bisherigen Wohnung werden Siesich auch ganz gut wieder verjüngen,wenn Ihr Übel nicht schon zu weit vor-geschritten ist, schlimmstenfalls kann jaHerr S. Sie einreiben. Baden undTrinken kann Ihre Gefahr nur vergrößernnach meiner Ansicht. Am besten aberwäre es, Sie begäben sich in die Behand-lung der Münster'schen oder hiesigen Ärzte,die Ihnen bald ein "blühendes" Äußeregeben würden, wahrscheinlich aber auchdas Rauchen verbieten würden. − Manmacht hier oft auch ganz interressanteBekanntschaften. Zunächst lernte ich inMünster Münster einen Westpreußen kennen, der3 Jahre wegen Brandstiftung gesessen hatteund wegen Einbruchs in eine Apotheke inUntersuchung gesessen hatte. Er hieß glaub' ichW. und wurde wegen geschickt angeleg-ter Geistesstörung freigesprochen, kürzlich ister "verduftet". − K. ist, auch arg herein-gefallen. Nehmem Sie sich nur der Fraunach Christenpflicht an! Sie versteht ihrGeschäft und die Schänke trotz des Gesetzes.Dann war in Münster noch einer ausÜckendorf, der hatte wegen Kuppelei1 ½ Jahre und hätte noch mehr bekommen,wenn alles an die Glocke gehängt wäre.Er hatte durch ein Frauenzimmer sich Schuld-sachen und Kleidungsstücke erschwindelt,war überhaupt gerieben, hieß N.und sang ganz hübsch. Er hatte weicheGesichtszüge, die mich häufig an Frl. H.aus IIProvinzial=Irren=Anstalt. Alperbeck i. W, den ... 189J-Nr. ... aus Quetzen erinnerte. Hier verkehre ich fastnur mit einem Herrn Dr. F., der abersich nicht mit Dr. anreden läßt, wahrscheinlich,weil er sich geniert. Mit ihm werde ich viel-leicht nach meiner Entlassung eine Gebirgs-tour machen, denn in Raderhorst giebtes zu viel Fliegen, und um die Mittags-zeit störte ich gar zu sehr auf dem Steh-brink; es war aber wundervoll kühlda wegen das Waldes im Sommer. Wiesteht es denn um meine Wundereiche,die schönste Westfalens? Düngen Siesie ja recht gut und achten Sie aufdie jungen Pflanzen, daß nicht ange-trunkene Kurgäste, die mich oft beimZeichnen störten, sie zertreten. Wenn übrigens Ihre Bemühungen,angegriffene angegriffene Damen wieder zu beleben,Erfolg haben sollte, so wünsche ich IhnenGlück zu Ihrer Kraft. Ich, der ich der-gleichen wiederholt zu versuchen ge-zwungen war, konnte mich in meinemZustande nicht dazu herbeilassen. IhrVorschlag, Bad Stehbrink zu über-nehmen, scheint mir doch nicht lohnenddurchführbar. Viel dankbarer wärees, eine Irrenanstalt dort zu errichten,natürlich privatim. Wir beidenkönnten dann täglich einmal oderhöchstens zweimal durch die Räumegehen und die Kranken und Gesundengrüßen. Um ihre Fehler und Krank-heiten brauchten wir uns nicht zukümmern. Wer aufmuckte, würdein in eine Zelle gesteckt, bekäme Sulfonaloder im schlimmsten Falle Aether −das wäre natürlich zu reichen IhreAufgabe − und schliefe ein ad infinitum.Gegen Ihren Rheumatismus würdeich Ihnen Saliperin verschreibenund den Gesunden gäben wir beideso viel Stopfmittel in's Essen, daßsie verrückt würden, und wo dasnicht glückte, ein Pülverchen, daßsie sich Kratzen müßten; wir würdensie dann als Schweine hinstellen undhätten die Oberhand. Wie gernwürden die Glücklichen dann unszu Liebe tanzen und spielen. Entlassenwürde natürlich niemand vor seinemTode Sollte mein Brief Ihnen etwas zusammenhangslos erscheinen, so denkenSie, daß er mit Absicht so geschrieben sei; um Ihr Nachdenken zu reizen. Tode − das würde uns gerade die besteKundschaft verschaffen, soweit kenne ichdie Welt. Uberlegen sSie sich den Vorschlag!Sie könnten dann Jahr aus Jahr einin Pantoffeln gehen, und wenn ich −wie anzunehmen − noch ein paar Jahrehier bleibe, so werde ich mit Sicher-heit die Leitung übernehmen können.Grüßen Sie bitte alle Bekannten,Frau K. nicht ausgenommen.Ich empfehle Ihrihr, Drahtgeflecht um ihrenKohlgarten zu stellen, damit IhreHunde nicht in ihren Garten laufen.Kommt der junge R.wohl noch ab und zu? Lassen Sie sichdie 10 Pfennig nicht gerauen und wendenSie noch soviel anIhren Sie grüssendenF. S.Taubstl. a. D. Wollen Sie 'mal gelegentlich nach meiner Flinte sehen? - Wer ist jetztAmtmann in Ladnde − es soll seit Christiani schon der dritte sein.